Semiotics of the Kunstfeld

Nuray Demir und George Demir führen in ihrer Videoarbeit „Semiotics of the Kunstfeld“ vor, welche Symbole, Zeichen, Gesten und Tätigkeiten sie mit den klassistischen Funktionsweisen des Kunstfelds verknüpfen. Welche Benachteiligungen aufgrund von sozialer Herkunft (Klassismus), Rassismus oder Geschlecht bestimmen den Zugang zu den Ausbildungsstätten, Institutionen, Fördermöglichkeiten? 

Nuray Demir & George Demir

kein Geld, aber …  

Mit dem monetären Kapital stehen all die notwendigen Nebenjobs und Kompromisse zur Debatte, die trotz Bafög und Stipendien, Klassenunterschiede deutlich machen. Spätestens seit Pierre Bourdieus „Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft“ (1979) sind die westlich geprägten Institutionen der Kunst und Wissenschaft aber auch aufgefordert, nicht nur ihre Stipendiensysteme, sondern auch die Naturalisierung eines bestimmten Kanons, eines bestimmten Geschmacks und einer bestimmten Vorliebe – und damit ihre Definition des kulturellen Kapitals – zu überprüfen. Mit seiner Analyse der symbolischen Ordnung der französischen Gesellschaft und ihrer Institutionen zeigte Bourdieu nicht nur, welche klassistischen Ausschlüsse diese produzieren, sondern auch an welche Grenzen Menschen stoßen können, die nicht innerhalb der privilegierten, bildungsbürgerlichen Klasse aufgewachsen sind. Die symbolische Ebene ist es, die die Unterschiede sichtbar macht und das kulturelle Kapital bestimmt: die Bücher, die „unsereins“ liest, die Betonung von Wörtern, eine Geste oder sich mit großer Selbstverständlichkeit durch bekannte Situationen bewegen zu können. Es sind diese Momente, die Bourdieu als sozialen Habitus beschreibt, als Ergebnis häufig unbewusster Lernprozesse im Familienkontext, die über gesellschaftliche Zugänge und Chancen oder Benachteiligungen aufgrund von Klasse und sozialer Herkunft entscheiden können.

„Semiotics of the Kunstfeld“ bearbeitet diese symbolische Ebene des kulturellen Kapitals mit Blick auf Kunstakademien und den Kunstmarkt. Der deutsche Pass wird zum Symbol der „Weltenbummler*in“ und damit als Privileg innerhalb eines globalen Kunstmarkts erkennbar. Der Arbeits-Pullover der Müllabfuhr wird als „fashion“ bezeichnet und damit auf die Ökonomisierung von Arbeitskleidung verwiesen – wie es beispielhaft die Geschichte der Jeans als ehemalige Arbeitshose zeigt oder das kürzlich vom Schweizer Label „vetements“ entworfene Oberteil in DHL-Ästhetik. Solche Prozesse sind letztlich auch Produkte einer Semiotik des Kunstfelds: Wenn eine glaubhafte Institution sagt, es handele sich um Kunst oder um Mode, dann wird dieses als solche wahrgenommen und der entsprechende Preis dafür gezahlt. 

kein Geld, aber Kunst kaufen!  

In ihrer Deklination von kulturellen Codes lassen Nuray Demir und George Demir sich von Martha Roslers emanzipatorischem Umgang mit Küchengeräten in ihrer legendären Videoarbeit „Semiotics of the Kitchen“ (1975) inspirieren. Die Vorführung eines Alphabets der Küchengeräte ist bei Rosler von einer – wohl jeder*m Feminist*in wohltuenden – Aggression gegen diese Symbole patriarchaler Rollen-Erwartungen begleitet. Das Messer erscheint mehr als potentielles Mord-Instrument des Patriarchats, als ein sauber zu führendes Schneidewerkzeug. Wenn Demir und Demir – mitunter mit ähnlicher Haltung wie Rosler, mitunter mit einem Augenzwinkern – Begriffe verwenden, die über die Objektbezeichnung oder die vorgeführten Gesten hinausgehen, die also mehr die symbolische Ebene bezeichnen, als das Objekt, werden auch hier die Verknüpfungen von Ding, Begriff und erwarteter Haltung brüchig und verlieren ihre unausgesprochene Selbstverständlichkeit. Vielmehr werden normative Erwartungen als kulturelle Codes und Systeme erkennbar und damit angreifbar.


Text: Olivia Ebert

Die Arbeit „Semiotics of the Kunstfeld“ entstand im Rahmen der AKADEMIE #2 – ZEIGE DEINE KLASSE des Impulse Theater Festivals 2020. Vielen Dank an Nuray Demir und George Demir für die Erlaubnis zur Veröffentlichung!

www.nuraydemir.de
www.georgedemir.com