Für Frauen - 1. Kapitel. Ein Film für Frauen, von Frauen gemacht

 


 

Hinter der Kamera: „Wir drehen!“
Protagonistin: „So, meine Damen, sechs Tage Rennen beginnt wieder!“

 

(c) Deutsche Kinemathek

In Berlin heißt sechs Tage Rennen beinahe schon immer sich unermüdlich im Rundenkreisel zu bewegen, rund um die Uhr mit aller Kraft in die Pedale zu treten und via Schleudergriff den Companion in die nächste Runde zu schicken – bis zum Umfallen. Wenn sich eben jenes Rennen nun buchstäblich vom Ereignis in ein tatsächliches Tun verschiebt, von der Bahn in den Supermarkt verlagert, dann sind die Protagonistinnen nicht länger männliche Rennradfahrer, denen die Menge zujubelt, sondern vielmehr Berliner Verkäuferinnen, die deshalb sechs Tage unermüdlich durch den Laden rennen, weil weder ihr männlicher Chef noch die Kunden ihnen je eine Pause gönnen. Ganz zu schweigen von jubelnder Anerkennung.

Berlin, Märkisches Viertel, 1971. Für Frauen – 1. Kapitel. Die Kamera blickt in das Innere eines modernen Selbstbedienungsgeschäfts, zwischen aufgestapelten Kartons in Metallregalen ziehen sich die Verkäuferinnen ihre Arbeitskleidung über, bevor es ans Kisten schleppen, Regale einräumen und ans Hochgeschwindigkeitsrennen am Kassenband geht. Noch ohne Scanner gilt es hier in Windeseile die Preise der Waren aus dem Gedächtnis abzurufen und die Beträge in die Registrierkasse zu tippen – während die Kunden sich gleichzeitig über Produkte beschweren, noch ne Tüte haben wollen oder mal schnell zwischendurch den Pfand zurückgeben möchten.

Dabei zeigt der Film Für Frauen – 1. Kapitel weniger den Blick auf die Waren und den Vorgang des Konsums (Betrachten – Auswählen – Kaufen; eine durch die heterosexistische Arbeitsteilung der bürgerlichen Familien mehr und mehr weiblich codierte Sphäre, schließlich ist die Einkäuferin des Familienhaushaltes weiblich subjektiviert, was sich nicht zuletzt auf den Repräsentationsflächen der Werbetafeln zeigt), sondern gibt stattdessen Einblick in den Arbeitsalltag der Verkäuferinnen.

Und die befinden sich im alltäglichen Schleudergang der 70er Jahre zwischen kapitalistischer Ausbeutung, Patriarchat und der Transformation der Arbeitswelt durch deren Entgrenzung als auch durch die Zunahme von sogenannter Frauenerwerbsarbeit. Der Film Für Frauen – 1. Kapitel zeigt Frauen – und das bedeutet hier Filmemacherinnen, Verkäuferinnen und Hausfrauen gleichermaßen vor und hinter den Kulissen –  als alleinerziehende Mütter, aufs Geld angewiesen, mit Sexismus am Arbeitsplatz konfrontiert, von Ehemännern zu Hausfrauen degradiert, ohne deren Einwilligung es sich eh nicht arbeiten ließ, und auf Arbeit ständig kontrolliert und nie ohne Aufsicht von männlichen Mitarbeitern und ihrem Chef. Trotz alledem oder gerade deswegen zeigt der Film Frauen, die doch nicht nachgeben, ihre eigenen Forderungen zu formulieren, mehr noch sie gemeinsam auszuhandeln und sich darin zu üben auch über Klassen-, Berufs- und Lebensrealitäten hinaus, solidarisch zu handeln. Denn der gemeinsame Ausgangspunkt ist kein geringer als die Erfahrung, dass die „Diskriminierung der Frau am Arbeitsplatz die Grundlage für jede gesellschaftliche Unterdrückung der Frau schafft.“ (Cristina Perincioli)

 

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Spätestens mit der Erkenntnis der Arbeiterinnen, dass der Profit des Geschäfts auf ihren Knochen gebaut ist, wagen sie den Blick hinter die Kulissen und in die Lohnbücher des Chefs: „Also, det is ja n Ding!“ – für gleiche Arbeit und Zeit bekommen sie bis zu hundert Mark weniger als ihre männlichen Kollegen, obgleich sie es doch sind, die alle Arbeit machen – außer Chef spielen – und den Laden am Laufen halten: „eigentlich müsste das Geschäft uns gehören“.

Über diese wichtige Kritik hinaus, die 1971 kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse angreift und zugleich Emanzipation über Lohnarbeit konzipiert, zeichnet sich der Film durch ein anderes Moment aus. Denn Für Frauen, von Frauen gemacht ist ein Fingerzeig in eine sich verändernde Zukunft, in der weibliche Feministinnen nicht mehr ausschließlich für ihre Partizipation an männlicher Lohnarbeit und Öffentlichkeit eintreten, sondern zugleich die gesamte Produktions- und Geschlechterordnung in Frage stellen. Es ist ein Film, der nicht länger eine politische und gesellschaftliche Ordnung kritisiert und kommentiert, sondern danach fragt, wer für wen spricht und danach sucht, das Verhältnis von Film und Politik neu zu bestimmen.

»Wir brauchen keine liberalen Filmer, die sich der Emanzipation annehmen. Wir fordern die Mittel in unsere Hand!«

 

Politisch Filme von Frauen für Frauen zu machen ist die entscheidende Verschiebung in der Film- und Produktionsarbeit von Cristina Perincioli gegenüber ihren männlichen Kollegen jener Zeit und zugleich nur der Anfang. Für Frauen – 1. Kapitel ist der Abschlussfilm ihres Studiums an der dffb. Die Konsequenz dieses Verständnisses ist es die Mittel nicht nur für sich als Filmemacherin einzufordern, sondern radikal mit den Protagonistinnen des Films, den Hausfrauen und Verkäuferinnen zu teilen. In der Originalversion heißt es deshalb gleich zu Beginn: „Dieser Film wurde von Verkäuferinnen und Hausfrauen gemacht. Sie haben sich diese Geschichte selbst ausgedacht und gespielt. Sie wollten die Rolle der berufstätigen Frau so darstellen, wie sie sie erleben und zeigen warum sie sie verändern wollen. Die Filmstudentinnen haben ihnen dabei geholfen“. In diesem Sinne fordert Cristina Perincioli dasjenige heraus, das lange Zeit als politische Filmkunst verstanden wurde und fragt, wie sich die Kräfteverhältnisse zwischen weiblichen und männlichen Subjekten verschieben lassen, die Bedingungen in denen wir leben und arbeiten. In der Radikalität des Machens fordern die Filmemacherinnen – und hier sind alle am Film beteiligten gemeint – das Ganze zu reorganisieren, und zeigen die Veränderbarkeit gesellschaftlicher Strukturen als kollektive Praxis, als feministischen Schleudergriff in eine andere Zukunft.


Deutsche Film- und Fernsehakademie (dffb): Cristina Perincioli. Für Frauen. 1. Kapitel (1971). Regie: Cristina Perincioli, Kamera: Gisela Tuchtenhagen, Darstellerinnen: Helga Freyer, Ulla Lange, Jeanine Rickmann. Schnitt: Suse Jäger, Licht: Skip Norman. Copyright und Verleih: Deutsche Kinemathek.

https://dffb-archiv.de/dffb/fuer-frauen-1-kapitel

Text: Fanti Baum