In Wirklichkeit sind die ökonomischen Beziehungen, die der Kapitalismus zwischen uns stiftet, nicht persönlich, sondern sachlich, nicht emotional, sondern rational, nicht intim, sondern distanziert. Abgesehen von der Werbung für den Konsum kommt in ihnen nicht das Vergnügen zuerst, sondern die Arbeit, nicht die Hingabe, sondern die Disziplin, nicht die Muße, sondern die Effizienz. Karnuks/Carnacs Waren-Liebes-Geschichte aber deckt eine verborgene Ebene in unseren ökonomischen Beziehungen auf: Wenn wir arbeiten, arbeiten wir immer für andere, das heißt für die Befriedigung der Bedürfnisse anderer. So wie unsere vielfältigen Bedürfnisse – von Nagellack über Schmerztablette, Sprudelwasser, Anchovy-Oliven und Tellerabwasch bis hin zu Nackenmassage und Schienennetz – nur von der aufopfernden und selbstlosen, kurz: der liebenden Arbeit unzähliger anderer befriedigt werden können. One world, one love. Einerseits.
Andererseits arbeiten wir – sofern wir nicht unentlohnt arbeiten, wie etwa im Haushalt – immer nur für unseren eigenen Nutzen, in unsere eigene Tasche, arbeiten also nicht für andere, die wir nicht kennen, sondern fürs Geld. Nicht von konkreten oder weniger konkreten Menschen sind wir im Kapitalismus abhängig, sondern von Waren, von der Geldware vor allen Dingen, die sich in alle anderen Waren tauschen lässt.
Die anderen – für die wir arbeiten und die für uns arbeiten – erscheinen uns so nicht als Bedingung unserer gemeinsamen Freiheit, sondern als Grenze unserer individuellen. Jene, die uns die Unterhose auf den Leib schneidern, sind uns nicht vertraut, sondern so fremd wie die Nachbarin, mit der es zum juristischen Streit über Gartenhecke oder Lärmbelästigung kommt. Mehr noch, diese "Mitmenschen" sind uns nicht nur fremd und egal, wir empfinden sie vielmehr als feindselig und bedrohlich, denn um das Geld, das wir brauchen, stehen wir mit ihnen in Konkurrenz. Anders als von den Gütern, die durchaus zu Sättigung führen können, ist vom Geld nämlich niemals genug da: Wer viel davon hat, kann gar nicht genug davon bekommen, wer weniger hat, muss ständig fürchten, es könnte ganz ausgehen.